Eigentlich ein Herbsttag wie aus dem Bilderbuch: früh morgens in Gerolstein undurchsichtige Nebelschwaden, in denen ich bergab zum Bahnhof lief. Auf dem Programm stand heute ein Ausflug per Bahn nach Prüm. Erste Überraschung: Prüm hat seit Jahren keine Schienen mehr. Kein Beinbruch, denn es gab ja den SEV, wie das Bus fahren im Bahnauftrag heute genannt wird. SEV steht für Schienenersatzverkehr. Ob es wirklich immer solche seltsamen Wortungeheuer sein müssen vermag ich nicht zu beurteilen; aber mir stellt sich schon die Frage, warum man das Vehikel, dass da vor einem abfahrbereit steht, nicht auch einfach “Bus” nennt. Aber das wird wohl das Geheimnis des einzigen Mannes der Republik bleiben, der mit Vornamen bekanntlich “Bahnchef” heißt.
Die Basilika in Prüm ist schon einen Besuch wert. Die Salvator-Kirche der ehemalige Benediktiner-Abtei wurde im Jahr 721 erstellt; die Abtei hingegen im 18 Jahrhundert aufgegeben. Die Basilika ist geblieben und dominiert heute das Bild dieses eher beschaulichen Eifelstädtchens. Die ehemalige Abtei und ihre um die Kirche angesiedelten Gebäude sind heute ein bekanntes Gymnasium, das von Schülern aus Stadt und Umland frequentiert wird.
Damit Ende des Besuches in Prüm und weiter nach Waxweiler - so jedenfalls meine Planung. Und irgendwie habe ich wohl “irgendeine Kurve” nicht richtig genommen. Jedenfalls landete ich statt in Waxweiler im Kloster St. Thomas, das ebenfalls sehr schön und baulich hervorragend hergestellt wurde. Die Klosteranlage ist heute ein Exerzitienhaus des Bistums Trier und nach meinem Eindruck auch sehr gut frequentiert. Geografisch fast versteckt gelegen ist St. Thomas nur über eine Mini-Strasse erreichbar. Eine Bahnlinie führt zwar auch vorbei, ist aber nicht so unbedingt stark befahren. Ein schöner aber anstrengender Weg ist der über die Berge, die hier schon recht ansehnlich und anspruchsvoll sind. Jedenfalls für den Normalwanderer.
Nach einem intensiven und tief gehenden Gespräch mit dem Leiter dieses Hauses machte ich mich auf den Weg in Richtung Trier, wobei in der nächsten Stadt (nach dem Tunnel) in Kyllburg "Siesta" war. Schon bei der Ankunft wusste ich: hier läuft etwas völlig anders. Warum? Auf dem Bahnsteig (auf dem kommt man nach dem Weg automatisch an) saß eine Gruppe Leute, die recht nett waren. Lachen, in der Sonne sitzen, trinken, reden - und dann plötzlich ein Wanderer. Plötzlich kamen Fragen. Viele Fragen. Und so erzählte ich meine Geschichte. Vom Jakobsweg, der Strecke, meiner Transplantation und damit war die Eskalation des Gespräches buchstäblich vorprogrammiert. Um es in "einem" Wort zu sagen: es war ein lustiges, gutes, ernstes, schönes, emotionales Gespräch! Und es hätte mich fast eine Nacht gekostet. Immerhin musste ich mich ja noch um eine Unterkunft bemühen. Das ist nach diesem Nachmittag buchstäblich fast auf der Strecke geblieben.
Viel zu spät begann ich die Suche. Und ich begann sie damit, einfach den nächsten Zug (ja, es ging ja nicht mehr anders und an diesem Ort gab es keine Chance) in den nächsten Ort zu nehmen. So kam ich in Erdach an, einem Ministadtteil von Bitburg. Die Möglichkeiten waren nach einer kurzen Rückfrage am Bahnhof schnell geklärt: zwei Wege, rechts zum Gasthof (nicht sehr Vertrauen erweckend), links zum Vermieter von Monteurzimmern. Die Entscheidung war schnell gefallen und ich hatte eines der Monteurzimmer. Das war der Weg in die Traurigkeits-Übernachtung. Die Witwe (Ehemann vor eineinhalb Jahren verstorben) war noch immer in schier unendlicher Trauer, erzählte ungefragt ihre gesamte, Lebens-, Leidens- und Trauergeschichte und zog mich in diese Stimmung. Bei allem Verständnis fühlte ich mich damit überfordert. Selbst unter Berücksichtigung meiner vieljährigen Erfahrungen bei der Telefonseelsorge. So zog ich mich recht schnell zurück, wenngleich auch mit ein wenig schlechtem Gewissen. Doch beim besten Willen kann ich nicht der Seelsorger aller möglichen Situationen sein. Tut mir leid, das geht nun wirklich nicht.
Nach einer kurzen, unruhigen Nacht war ich schon recht froh, dieses Haus doch wieder verlassen zu können. Damit, liebe Freunde, euch alles erdenklich Gute und nicht solche Schicksalsschläge, wie sie diese Familie hat hinnehmen müssen. Buen Camino wünscht euch Lothar
Tag 37 mit 40 Km
(Gesamte Wanderstrecke: 685 Km und 1.783 Km in Verkehrsmitteln)
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